30.000 Ver- und Entsorgungsstellen eher unglaubwürdig
Mineral Minds Geschäftsführer Moritz Obexer gab in einem Interview mit dem RECYCLING Magazin (8/2023) an, dass das Startup aus Stuttgart über 30.000 Ver- und Entsorgungsstellen auf deren von ihnen selbst als Plattform bezeichneten Internetseite zur Verfügung habe. Erdbau News fand diese Zahl sehr ambitioniert und wollte der Zahl auf den Grund gehen. Wie realistisch sind die Angaben des Geschäftsführers? Um diese Frage zu klären, stellt sich zuerst die Frage: Was definiert man eigentlich als Ent- und Versorgungsstelle? Wir haben diese Frage zugunsten von Obexer weit ausgelegt und nicht nur alle Abbaustätten von mineralischen Baustoffen einbezogen, also Steinbrüche, Kies-, Sand- und Tongruben, sondern auch alle Baustoffhändler.
Schüttflix, Mineral Minds & Co. – die Zukunft der Entsorgungsplattformen
Im Entsorgungsmarkt tut sich in den letzten Monaten einiges. Nachdem die Baubranche in den letzten Jahren einen großen Wandlungsprozess in Richtung Digitalisierung vollzogen hat, ist nun auch die Entsorgung dran.
Bundesweit maximal 6000 Versorgungsstellen
Eine Anfrage der Grünen bei der damaligen Bundesregierung ergab, dass es 2016 in Deutschland 3.900 Steinbrüche, Ton-, Kies- und Sandgruben gab. Generell ist die Zahl der Abbaustätten seither eher rückläufig, was unter anderem an den aufwendigeren Genehmigungsverfahren für neue Abbaustätten liegt – sei es bezüglich der Öffentlichkeitsbeteiligung, des Bergbaurechts oder vor allem des Umweltschutzes. Man kann daher sicher sagen, dass es 2023 nicht mehr als 4.000 dieser Stätten gegeben hat. Laut Statista gibt es 2023 genau 2.067 Bau- und Heimwerkermärkte. Hornbach, toom und OBI – große Namen mit beeindruckenden Zahlen: Hornbach mit 99 Filialen bundesweit 2022, toom mit 300 Filialen deutschlandweit und OBI mit 216 Filialen Ende 2021 laut deren eigenen Angaben. Hinzu kommen viele kleinere Baustoffhändler. Die Zahl (2067) von Statista scheint daher durchaus realistisch. In Summe ergibt das insgesamt etwa 6.000 Versorgungsstellen (2.067 Bau- und Heimwerkermärkte + 3.900 Abbaustätten) bundesweit. Wenn man Obexers Aussage Glauben schenken darf, müsste es in Deutschland 24.000 Entsorgungsstellen für mineralische Abfälle geben, damit man auf die 30.000 kommt. Also, wie viele Entsorgungsstellen gibt es in Deutschland?
Nur 8850 Entsorgungsstellen in ganz Deutschland
Hier stellt sich die Frage: Wo kann man mineralische Abfälle entsorgen? Unsere Recherche führte uns durch die Ersatzbaustoffverordnung und die Deponieverordnung, die die Wiederverwendung bzw. die Beseitigung von mineralischen Abfällen regeln. Nach Informationen des Umweltamtes erfolgt die größte Masse der Entsorgung von mineralischen Abfällen in technischen Bauwerken, Behandlungsanlagen, Rekultivierungsmaßnahmen und Deponien. Mülldeponien gab es laut statistischem Bundesamt (Quelle) 2022 genau 1.000 , wobei längst nicht alle von ihnen Erdaushub annehmen. Wenn man großzügig annimmt, dass wirklich alle 1.000 Deponien auch Erde annehmen, und dazu die 3.900 potenziellen Auffüllungen von ehemaligen Abbaustätten (Steinbrüche, Kies-, Sand- und Tongruben) hinzufügt, kommen wir auf 4.900 feste Entsorgungsmöglichkeiten für mineralische Abfälle. Dazu kommen noch 2.600 Aufbereitungsanlagen, die eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung benötigen, was bundesweit insgesamt 7.500 Entsorgungsstellen ergibt. Zusätzlich betrachten wir die Verwendung von mineralischen Abfällen in Bauvorhaben, also in technischen Bauwerken. 2021 wurden in Deutschland 19.500 Wohngebäude und 7.500 Gewerbegebäude fertiggestellt (Quelle: Statistisches Bundesamt). Angenommen, nur 5% dieser Bauprojekte würden tatsächlich mineralische Abfälle benötigen, wären das zusätzlich 1.350 Stellen. Im Bau befindliche Lärmschutzwälle, Dämme, Bahnbauprojekte oder andere Sonderbauten sind bundesweit so selten, dass sie aus unserer Sicht nicht weiter zu berücksichtigen sind. Insgesamt gibt es also theoretisch in Deutschland 8.850 Entsorgungsstellen für mineralische Abfälle. Zusammen mit den 6.000 Versorgungsstellen kommen wir auf insgesamt 14.850 Ver- und Entsorgungsstellen. 14.850 Ver- und Entsorgungsstellen wären also maximal möglich, wenn Mineral Minds 100% des möglichen Marktes in deren Datenbank führen würde. Das scheint eher unwahrscheinlich. Selbst die Hälfte aller Marktteilnehmer wäre vermutlich zu viel, insbesondere, da unsere Recherchen zeigen, dass Mineral Minds überwiegend im süddeutschen Raum tätig ist. Wie also die Zahl von 30.000 zustande kommt, bleibt ein Rätsel. Es scheint jedenfalls, als würde Mineral Minds nicht nur mit mineralischen Stoffen jonglieren, sondern auch mit ihren eigenen Zahlen.
15.000 neue Ver- und Entsorgungsstellen in 4 Monaten?
Im Interview im August 2023 prahlte der Geschäftsführer Moritz Obexer noch mit 30.000 Stellen. Doch auf der LinkedIn-Seite von Mineral Minds wird im Dezember 2023, also nur vier Monate später, bereits mit 45.000 Ver- und Entsorgungsstellen geworben. Das wäre ein Zuwachs von 50% in nur vier Monaten. Diese Zahl scheint, angesichts der Tatsache, dass Mineral Minds seit 2020 am Markt ist und vier Jahre benötigte, um die fraglichen 30.000 Ver- und Entsorgungsstellen auf ihrer Plattform zu akquirieren, nun in nur vier Monaten weitere 50% hinzugewonnen zu haben, äußerst fragwürdig. Besonders, wenn man bedenkt, dass bereits die 30.000 nach Überprüfung offizieller Zahlen eigentlich gar nicht möglich sind.
Schüttflix – Wachstum um jeden Preis
Schüttflix möchte nach der Expansion nach Osteuropa nun auch in die Entsorgung mineralischer Abfälle. Damit drückt das Startup aus Gütersloh auf einen hart umkämpften Verkäufermarkt.
Parallelen zu Schüttflix
Es scheint, als ob das „Zahlentuning“ unter Startups üblich ist. Denn wie wir bereits berichtet haben, hat auch Schüttflix seine Zahlen mit Umsätzen verbundener Unternehmen aufgehübscht. Auch wenn es sich dabei um unlauteren Wettbewerb handeln könnte, entsteht für die Mitbewerber vermutlich eher wenig Schaden. Denn mit solchen beschönigten Zahlen dürfte vor allem das Vertrauen der Nutzer leiden, und infolgedessen die Plattformbetreiber selbst und deren Investoren in Mitleidenschaft gezogen werden.
Diese Praxis des Aufbauschens von Zahlen könnte langfristig die Glaubwürdigkeit der Plattformen untergraben. Nutzer und potenzielle Investoren könnten beginnen, die dargestellten Wachstumszahlen und Marktpräsenzen zu hinterfragen. Eine Umfrage von Erdbau News im Juni 2023 hat gezeigt, dass diese beiden Jungunternehmen bereits jetzt ohnehin wenig Zuspruch im Markt finden.