Die Bauindustrie steht wie kaum ein anderer Sektor im Spannungsfeld zwischen Wachstum und Klimaschutz. Zement, Beton und andere Baustoffe gehören zu den größten CO₂-Verursachern weltweit – und doch dominiert in der Branche oft noch das „Weiter so“. Dabei gäbe es längst Technologien und Strategien, die nicht nur das Klima entlasten, sondern auch wirtschaftliche Vorteile bieten könnten. Warum diese Potenziale bisher weitgehend ungenutzt bleiben und welche Weichen jetzt gestellt werden müssen, zeigt dieser Beitrag.

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Zement, Beton und die unsichtbaren Emissionen
Kaum ein Baustoff ist so grundlegend – und gleichzeitig so klimaschädlich – wie Zement. Als Hauptbestandteil von Beton verursacht er erhebliche Mengen an CO₂, und das nicht nur durch den hohen Energieverbrauch beim Brennen von Kalkstein. Entscheidend ist auch die chemische Reaktion selbst: Beim Umwandeln von Kalkstein in Zementklinker entsteht zwangsläufig Kohlendioxid. Hinzu kommt, dass die für den Prozess benötigten Temperaturen meist noch durch fossile Brennstoffe wie Kohle oder Gas erzeugt werden.
Die Klimabilanz von Beton ist daher doppelt problematisch: Energieintensiv und prozessbedingt emissionsreich. Selbst mit einer erfolgreichen Energiewende bleibt die Emission aus der chemischen Umwandlung bestehen – ein Fakt, den die Branche bislang kaum in den Griff bekommt. Lösungen wie CO₂-Abscheidung und unterirdische Speicherung gelten als teuer und technisch unausgereift. Der wirksamste Hebel wäre daher, die Neuproduktion von Zement zu reduzieren – etwa durch die Wiederverwendung alter Baustoffe. Doch bislang schöpft die Branche dieses Potenzial kaum aus.
Kreislaufwirtschaft: Die verpasste Chance der Branche
Statt auf Ressourcenschonung und Wiederverwertung zu setzen, hält die Bauindustrie hartnäckig an linearen Prozessen fest: Abreißen, entsorgen, neu bauen. Dabei zeigt eine vom WWF beauftragte Studie des Beratungsunternehmens Systemiq, dass sich durch konsequente Kreislaufwirtschaft die Kosten für eine klimaneutrale Bauweise um bis zu 45 Prozent senken ließen. Zehn bereits marktreife Technologien könnten sofort eingesetzt werden – darunter Recyclingverfahren für Beton, digitale Materialkennzeichnung und modulare Baukonzepte. Doch der Einsatz ist bislang kaum verbreitet.
Neben der Klimawirkung hätte die Wiederverwertung gebrauchter Baustoffe auch wirtschaftliche Vorteile. Weniger Abhängigkeit von Rohstoffimporten – etwa Gas aus Russland – und mehr Resilienz gegenüber Preis- und Lieferkettenrisiken wären die Folge. Trotzdem fehlen bislang verbindliche Anreize. Besonders die öffentliche Hand könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen: etwa durch verpflichtende Recyclingquoten und CO₂-Grenzwerte bei Ausschreibungen. Doch meist entscheiden noch immer allein die Kosten – nicht die Umweltbilanz.

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Was Politik und Bauherren jetzt ändern müssen
Die Studie macht deutlich: Die technische Grundlage für eine klimafreundlichere Bauindustrie ist vorhanden – was fehlt, sind regulatorische und wirtschaftliche Anreize. Öffentliche Auftraggeber könnten mit gut gesetzten Vorgaben eine enorme Marktwirkung entfalten. Wenn bei Neubauten – etwa von Schulen oder Verwaltungsgebäuden – CO₂-Grenzwerte und Mindestrecyclingquoten verbindlich vorgeschrieben würden, entstünde automatisch ein Markt für emissionsarme Materialien. Momentan jedoch zählt bei öffentlichen Ausschreibungen in der Regel nur der Preis – ein Umstand, den Fachleute scharf kritisieren.
Gleichzeitig bieten neue Baukonzepte zusätzliche Chancen: Die modulare Bauweise, bei der standardisierte Elemente vorgefertigt und vor Ort montiert werden, spart Material und reduziert Abfall. Digitale Rückverfolgungssysteme, wie unsichtbare Wasserzeichen oder QR-Codes auf Baustoffen, könnten außerdem die Sortierung und Wiederverwendung drastisch verbessern. Für Unternehmen ergibt sich daraus nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein ökonomischer Vorteil. Doch damit diese Lösungen in der Breite wirken, braucht es jetzt klare Weichenstellungen – von der Politik, aber auch von Bauherren und Investoren.