Bodenaushub galt lange als lästiges Nebenprodukt der Bauwirtschaft – teuer zu entsorgen, kaum nutzbar. Doch diese Sichtweise gerät ins Wanken. Neue gesetzliche Rahmenbedingungen und technologische Fortschritte eröffnen bislang ungenutzte Potenziale: Der Erdaushub könnte sich vom Abfallstoff zum zentralen Rohstoff für nachhaltiges Bauen entwickeln. Besonders der darin enthaltene Lehm rückt zunehmend in den Fokus. Erste Entwicklungen zeigen, dass sich durch regionale Nutzung und clevere Verarbeitung neue Wege für eine ressourcenschonende Baupraxis auftun.
Neuer Blick auf Aushubmaterial – vom Abfall zum Baustoff
Bodenaushub zählt mengenmäßig zu den bedeutendsten Abfallströmen im Bauwesen. Allein in Deutschland fielen laut dem Bundesverband Baustoffe e. V. im Jahr 2022 rund 122,1 Millionen Tonnen davon an – das entspricht etwa fünf Millionen LKW-Ladungen. Bislang wurde ein Großteil davon lediglich zur Verfüllung von Abbaugruben verwendet – ein rein logistischer Zweck, der kaum zur stofflichen Verwertung beiträgt. Dabei bietet gerade dieser sogenannte Aushub ein enormes, bislang unterschätztes Rohstoffpotenzial.
Mit der Einführung der Ersatzbaustoffverordnung (EBV) im Jahr 2023 hat sich der rechtliche Rahmen grundlegend verändert. Unter bestimmten Voraussetzungen kann Bodenaushub nun gezielt für bauliche Zwecke genutzt werden – und eröffnet damit neue Möglichkeiten für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Während in Bereichen wie dem Straßen- und Erdbau bereits erste Formen des Aushub-Recyclings etabliert sind, bleibt insbesondere lehmhaltiges Materialbislang weitgehend ungenutzt. Die Gründe dafür liegen vor allem in der fehlenden Sortenreinheit und der bislang unzureichenden technischen Aufbereitung.
Doch genau hier setzt ein Umdenken ein: Statt Bodenaushub zu entsorgen, wird er zunehmend als wertvoller Rohstoff betrachtet – ein Perspektivwechsel, der nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch neue Wege öffnet.

Vom Restmüll zum Baustoff: Wiener Projekt setzt neue Maßstäbe
Ein innovatives Projekt zeigt, wie aus Müllverbrennungsrückständen ein zertifizierter Baustoff wird. Die Mischung aus Wissenschaft, Wirtschaft und Stadt macht deutlich, welches Potenzial in echter Kreislaufwirtschaft steckt.
Lehm neu gedacht – regionale Ressourcen effizient nutzen
Lehm gilt als einer der ältesten natürlichen Baustoffe – und erlebt aktuell eine bemerkenswerte Renaissance. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der lehmhaltige Bodenaushub, der direkt auf der Baustelle anfällt. Doch seine variierende Zusammensetzung gilt in der Bauindustrie häufig als Nachteil. Dabei liegt genau in dieser Vielschichtigkeit ein großes Potenzial: Sie erlaubt eine flexible Anpassung der Mischungen und damit eine breite Anwendbarkeit in unterschiedlichen Bauformen.
Zugleich offenbaren sich hier die strukturellen Defizite in der bisherigen Materialbewertung: In vielen Fällen wird die Qualität des Baulehms noch immer durch einfache Handversuche eingeschätzt. Diese traditionellen Methoden, so verbreitet sie auch sein mögen, reichen in einer datengestützten und normierten Bauindustrie oft nicht aus. Für eine tatsächliche Markttauglichkeit braucht es verifizierbare Prüfverfahren und eine systematische Eignungsbewertung.
Moderne Labortechniken und technologische Innovationen ermöglichen heute genau diese Prüfungen – und machen damit den Weg frei für eine gezielte Nutzung regional verfügbarer Ressourcen. Anstelle von energieintensiven Transporten und zentralisierten Herstellprozessen kann Lehm lokal aufbereitet und verarbeitet werden. Das spart nicht nur CO₂-Emissionen, sondern stärkt auch regionale Wirtschaftskreisläufe.
Der Schlüssel liegt also nicht allein im Material selbst, sondern in der intelligenten und professionellen Nutzung seiner Eigenschaften – angepasst an die Anforderungen des modernen Bauens.

Bodenaushub in Österreich als nachhaltige Ressource wiederentdeckt
Österreich transformiert Bodenaushub in nachhaltige Baustoffe und fördert damit eine effiziente Kreislaufwirtschaft. Die Initiative unterstützt CO2-Einsparungen und eine grünere Bauindustrie.
Praxisbezug statt Theorie – Bauwirtschaft beginnt umzudenken
Die Theorie rund um die Nutzung von Bodenaushub als Baustoff ist längst ausgereift – nun rückt die Umsetzung in greifbare Nähe. In mehreren Regionen wird mit Pilotvorhaben und mobilen Aufbereitungsanlagen getestet, wie sich Aushubmaterial effizient und direkt vor Ort verwerten lässt. Der Fokus liegt dabei nicht mehr nur auf der technischen Machbarkeit, sondern zunehmend auf ökonomischer Effizienz und ökologischer Wirkung.
Besonders dezentrale Lösungen gelten als vielversprechend: Sie ermöglichen die Nutzung lokal anfallender Erdmassen – etwa für Stampflehmwände oder Lehmziegel – ohne den Umweg über lange Transportketten. Das spart nicht nur Energie und Kosten, sondern reduziert auch die Abhängigkeit von globalen Rohstoffmärkten. Die wachsende Nachfrage nach regionalen, emissionsarmen Baustoffen verleiht diesen Ansätzen zusätzlichen Schub.
Auch in der Architektur und Planung steigt das Interesse. Lehm wird nicht länger als Nischenmaterial betrachtet, sondern als Teil einer ernstzunehmenden Materialwende im Bauwesen. Für die Industrie ergibt sich daraus die Chance, sich neu zu positionieren – als Anbieter von zirkulären, nachhaltigen Baustofflösungen, bei denen der Bodenaushub nicht mehr als Abfall, sondern als Ressource verstanden wird.
Die Weichen für eine ökologisch orientierte Baupraxis sind gestellt – jetzt liegt es an Politik, Wirtschaft und Forschung, diesen Weg konsequent weiterzugehen.